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Auf der Spur des Mörders - eine fabelartige Kurzgeschichte
ca. 5 Kindle-Seiten
Auf der Spur des Mörders
von Tom Stark
Der Morgen graute und das Ende der Fährte war fast erreicht.
Dort vorn im Schnee lagerte das Monster, das Ungeheuer, der Mörder ihrer Kinder und der Hoffnung des Flachwasser-Clans.
Akeelas Augen bekamen einen verräterischen Schimmer, als sie an ihre Kinder dachte.
Verstohlen blickte sie sich um. Sie war die Anführerin, alt und grau zwar, aber immer noch stark und vor allem erfahren. Dennoch durfte sie vor ihrem Clan nicht schwach wirken, gerade jetzt nicht. Da schob sich ihr Gefährte Bru neben sie und verdeckte mit seinem Körper, wie aus Zufall, den Blick der Anderen auf seine Frau. Sie suchte dankbar seinen Blick.
Bru war kleiner als sie, schwächer. Alle aus dem Clan waren das. Dabei wäre Akeela selbst im Clan ihrer Geburt bestenfalls Mittelmaß gewesen.
Wenngleich er auf andere Art eine Stärke und Souveräninität ausstrahlte, die ihr fehlte, und er über Jahre hinweg immer der beste Jäger gewesen und es immer noch war, hatte er nie ihre Führungsrolle in Frage gestellt. Und der Clan respektierte Bru, liebte seine Art sogar. Akeela, das war ihr stets bewusst, war wegen ihrer Stärke zwar unangefochten, aber es war Brus bedingungsloses Vertrauen in sie, was den Clan über ihre deutlich gröberen Züge und auch über die bisweilen herausbrechende ungezügelte Wildheit hinwegsehen ließ.
Sie lehnte ihre muskulöse Schulter an seine sehnige. Ein kurzer Kontakt nur, aber er zeigte an, dass sie beide gemeinsam trauerten und auch gemeinsam Rache nehmen würden.
Vor vielen Wintern war Akeela auf den Flachwasserclan getroffen.
Sie beanspruchten das Revier der Ebene des flachen Flusses, der zu manchen Jahreszeiten eher die Bezeichnung Bach verdient hätte. Es gehörten ein kleines Wäldchen fast mitten in der Ebene und der Streifen des großen Dunkelwaldes an der nördlichen Flanke, genauso wie die angrenzende Wüste dazu. Doch niemand ging in die Wüste und kehrte wieder, und normalerweise kam auch niemand von dort.
Akeelas Clan lebte tief im Dunkelwald auf dem Berg, der dort wie ein Kegel herausragte.
Kämpfe um die Führung des Clans hatten ihre Familie beinahe ausgelöscht.
Da war sie losgezogen und halb verhungert und fast verdurstet vom Clan ihres Mannes aufgefunden worden.
Als sie Bru zum ersten Mal gesehen hatte, wie er seine Jagdtruppe umsichtig aber dominant geführt hatte, war ihr Herz sofort entbrannt. Auch der elegante Bru hatte an der großen, kräftigen Akeela sofort Gefallen gefunden.
Ooran, der alte Führer des Clans hatte schließlich seinen Platz geräumt und war in die Einsamkeit der Wüste zum Sterben gezogen. Da hatte der Clan ohne zu zögern die stolze Kriegerin und den beliebten Bru als neue Führer gewählt. Natürlich konnte es immer nur einen Anführer geben, doch Bru hatte niemals Akeelas Anspruch in Frage gestellt und sie war immer weise genug gewesen auf den klugen Ratschluss ihres Gefährten zu hören.
Dann waren die trockenen Jahre gefolgt und mit ihnen der Sandclan aus der Wüste. Noch hatte die Ebenen genug Wild um ihren eigenen Clan durchzubringen. Durch den klugen Rat ihres Gefährten hatten sie lieber gehungert, als das Wild zu überjagen. Doch einen weiteren Clan konnte die Flachwasserebene nicht verkraften.
Der Kampf war ebenso unvermeidlich wie die Verluste, welche der Clan sich nicht leisten konnte. Schließlich hatte Akeelas Kampfeswut und ihre überlegene Stärke den Unterschied gemacht und den Sandclan in den Dunkelwald getrieben. Wenn nicht die Gefahren des Waldes ihnen den Rest gegeben hatten, dann sicher Akeelas Geburtsclan, der mit Fremden, zumal solch offensichtlich schwächlichen, keine Gnade kennen würde.
Doch mit Sheera, war auch eine der zwei anderen jungen Frauen des Clans umgekommen. Kooma, die verbliebene jüngere Frau, war nicht gebährfähig. Warum wusste niemand und an Versuchen und Verehrern mangelte es nicht. Aber die Götter der Ebene hatten sie wohl unfruchtbar gemacht.
Auch bei Akeela und Bru dauerte es und beinahe wären sie verzweifelt. Doch dann, in dem einen Jahr, in dem der Fluss endlich zurückgekommen war, war es soweit gewesen.
Vier prächtige Kinder hatten das Lager des Clans im Wäldchen mit neuem Leben erfüllt.
Tay und Meele waren nach ihrem Vater geschlagen. Elegant, geschmeidig und schlau. Naanu war das Ebenbild ihrer Mutter und schon von klein auf konnte man sehen, dass sie eine prächtige Kriegerin abgeben und mit ihrer Wildheit alle Feinde übertreffen würde.
Rand jedoch, war etwas ganz Besonderes. Größer als eine Geschwister, war er dennoch von sanftem Gemüt, auch wenn er sich nicht alles gefallen ließ.
Der ganze Clan war sich einig gewesen, dass eine goldene Generation heranwuchs, mit Rand als ihrem geborenen Anführer.
Doch dann war dieser Fremde aus der Wüste gekommen, mit diesem Ding, womit er Beute weiter schlagen konnte, als selbst der flinke Bru in fünf weiten Sprüngen überbrücken konnte.
Man hatte sich gegenseitig gemustert und beobachtet. Akeela, selbst weit mehr eine Kriegerin als Jägerin, erkannte in den Augen des Fremden Ihresgleichen. Zudem hatte ihr alter Clan, oder vielmehr die Vettern der nördlichen Gebirge, schon oft mit der Art des Fremden gemeinsam Seite an Seite gekämpft. Es war jedoch nie eine gleichwertige Partnerschaft gewesen und Akeelas Familie verachtete die Fremden, da die sich überlegen wähnten, obwohl sie selbst von einem mageren Krieger des Clans ohne Weiteres besiegt werden konnten. Außerdem kämpften die Fremden oft genug für Versprechungen und Träume. Der Dunkelwald-Clan kämpfte lieber für Beute, die man auch sehen konnte.
Zunächst hielt der Fremde sich vom Flachwasser-Clan fern und nutzte nur den Randbereich des Reviers zur eigenen Jagd. Meist jagte er im Wald und dort hatte er auch sein dauerhaftes Lager aufgeschlagen.
Immer wieder ging Akeela dort vorbei, meist alleine, manchmal auch als Führerin eines Trupps, in erster Linie um Stärke zu zeigen, aber auch um den Fremden im Auge zu behalten. Wenn er wie die anderen seiner Art war, verdiente er kein Vertrauen, denn ihm wären grundlegende Ehrbegriffe einfach fremd.
Mit der Rückkehr des Wasser kam endlich auch das Wild zurück und so es gab keinen Grund den neuen Nachbarn zu vertreiben, solange er dort blieb, wo er nun war. Und der unheimliche Geselle schien das genauso zu sehen.
Bis zu diesem Winter.
Er war ungewöhnlich kalt und so viel Schnee, wie in diesem Jahr, hatte die Ebene nach Wissen des Clans nie gesehen.
Doch selbst jetzt war das Wild reichlich und der Clan sparte Kraft, indem er sein Lager kaum verließ. Als es vor wenigen Tagen galt, ein besonders lohnendes Wild zu jagen, war jedoch beinahe der ganze Clan aufgebrochen. Sie hatten dabei reichlich Beute gemacht, genug um den harten Winter ganz sicher zu überstehen.
Als der Clan in seinem Lager zurück war, hatten sie es zunächst leer vorgefunden. Zuerst hatte man gedacht, dass Kooma, welche Akeelas Kinder so liebte, als seien es ihre eigenen, den kleinen Plagegeistern nachgegeben hätte und mit ihnen zu einer Schneewanderung aufgebrochen wäre. Besonders für die wilde Naanu war die erzwungene Untätigkeit schwer zu ertragen und sie konnte ihrem Kindermädchen das Leben zur Hölle machen, wenn sie nicht wenigstens eine Weile aus der Lagerhaft herauskam.
Doch dann hatte Bru Koomas Fährte gefunden und schließlich sie selbst. Sie atmete noch, war aber schwer verwundet. Es gab kein Zweifel an ihrer Tapferkeit und wie mutig sie gekämpft hatte, aber auch an ihrer Weisheit, dass sie sich mit letzter Kraft versteckt hatte, um dem Clan mitzuteilen zu können, was geschehen war.
Akeelas Freundin war gestorben, während sie berichtete, dass der Fremde gekommen war und sich sofort auf die Kinder gestürzt hatte. Kooma hatte versucht ihn abzuwehren, doch war sie ihm nicht gewachsen gewesen. Als es ihr dennoch gelang ihn zu verwunden, hatte dieser sie so schwer getroffen, dass etwas in ihr drin zerrissen war, etwas was auch nie wieder heilen würde.
Der tapfere Rand hatte sich am längsten gewehrt und war dem Fremden schließlich entkommen. Kooma hatte noch gesehen, wie der Fremde die Leichen der anderen Kinder aufgenommen hatte und sich auf Rands Fährte gesetzt hatte.
Der schlaue Bursche hatte seine Flucht weg vom Dunkelwald in Richtung Wüste gewählt. So ermöglichte er es dem Clan die Spuren leicht zu verfolgen und der Fremde musste stets ohne Deckung lagern. Aber es war zu ersehen, dass der junge Rand dem erfahrenen Fremden nicht lange entkommen würde.
Zwei Tage waren Akeela, Bru und die drei stärksten Kämpfer des Clans der Fährte gefolgt. Die Restlichen hatten protestiert, aber der kluge Bru hatte die anderen überzeugt, dass die Beute gesichert und verstaut werden musste.
Sie lehnte ihren Kopf gegen seinen, eine ihrer vertraulichsten Gesten vor den Augen der Übrigen.
Zweimal hatte der Fremde in der Nacht entkommen können, doch selbst wenn der Schnee nicht gewesen wäre, hätte er schon über Wasser gehen müssen, um Brus unfehlbarem Jägerinstinkt zu entkommen.
Ob Rand noch lebte, oder er bei den Leichen ihrer anderen Kinder lag, deren Körper man undeutlich im Schnee neben dem Lager des Fremden erkennen konnte, wusste keiner. Viel Hoffnung hatten sie aber nicht. Ein letztes Mal blickten sie sich in die Augen. Es war möglich, sogar wahrscheinlich, dass einer oder beide heute sterben würden. Doch selbst wenn nicht das Feuer der Rache in Akeela gewütet hätte, hätte das Rudel gar keine Wahl gehabt. Der Fremde hatte angegriffen, ohne Herausforderung und unprovoziert. Kein Jäger tat das mit einem anderen und niemand konnte so eine mordende Bestie, so ein Monster leben lassen und sich jemals wieder sicher fühlen.
Als alle in Stellung waren, erhob sich Akeela. Ihr lautes Heulen gab das Zeichen zum Angriff und ließ die Glieder diese verfluchten Zweibeiners vor Schreck steif werden. Das war schon immer die Wirkung des Kriegsgeheuls ihrer Art auf seine gewesen. Vielleicht würde das sogar verhindern, dass er seine mächtige Waffe rechtzeitig bereitmachen konnte.
Die anderen antworteten und die Ebene antwortete ebenfalls aus ihrer endlosen Weite.
Das Wolfsrudel des Flachwassers, angeführt von der Worgin aus dem Dunkelwald, griff an.
08.12.2017
Tom Stark - zum Lesen geeignet