Tom Starks virtueller Schreibtisch

... und was man alles so darauf finden kann.

Der Weihnachtsmann, mein schlimmster Feind -

eine nicht ganz weihnachtliche Kurzgeschichte

ca. 4 Kindle-Seiten

 

Der Weihnachtsmann, mein schlimmster Feind

von Tom Stark

 

 

Es war 1981, als ich das erste Mal vom Weihnachtsmann hörte.

Eigentlich hatte ich ihn zuerst gesehen, aber auf meine Frage an meine Mutter, wurde mir ernst erklärt:»Das ist der Weihnachtsmann, der bringt lieben Kindern Geschenke, aber unartige Kinder nimmt er mit, um sie am Nordpol ein ganzes Jahr zu bestrafen, bis er sie wieder um Weihnachten zurück nach Hause lässt.«

Ich weiß nicht mehr, ob ich zu der Zeit besonders anstrengend war, oder ob meine Mutter nur einen ironischen Scherz machen wollte, der für einen Fünfjährigen schlicht nicht zu verstehen war, jedenfalls rührt von daher meinen tiefsitzende Furcht vor Weihnachtsmännern.

 

Als der 5 Dezember '81 immer näher rückte, wurde ich zunehmend unruhiger. Ich hatte in diesem Jahr schon ab und zu etwas ausgefressen, von dem ich auch schon in diesem zarten Alter wusste, dass es ungezogen gewesen war. Und je unruhiger ich wurde umso bockiger wurde ich. Man musste mich zwingen irgendwohin mitzukommen, ich hatte Angst an diesen gemeinen Weihnachtsmann abgegeben zu werden und schließlich war ich kaum aus meinem Zimmer zu bekommen.

Als man mich zur Christmette förmlich aus dem Haus schleifte, schrie und weinte ich, und machte eine Szene, die meine Eltern rot vor Scham werden ließ. Die ganze Nachbarschaft schaute auf uns und schließlich wurde es meinem Vater zu bunt und er versohlte mir den Hintern.

»Nicht zum Weihnachtsmann ...« , schluchzte ich hemmungslos, doch meine Mutter, ebenfalls sehr aufgebracht, fauchte mich an: »Mach nur so weiter, dann wird er dich holen und in seinen großen Sack stecken, du ungezogener Bengel!«

Mit einem Male wurde ich ganz still und gab jeglichen Widerstand auf. In mir breitete sich eine kalte Ruhe aus und ein Plan nahm Form an. Ich würde mich nicht so einfach abschieben lassen!

Den Rest des Abends war ich ein mustergültiger Sohn und der Ärger meiner Eltern war bald verflogen.

Zuhause aßen wir und dann spielten wir zusammen, Mutter und Vater tranken Wein und ich bekam warmen Kakao mit Zimt. Wir sangen Weihnachtslieder und Vater lass sogar die Weihnachtsgeschichte vor, die ich in den Armen meiner Mutter lauschte.

Als wir nach einem durchwegs harmonischen Abend zu Bett gingen, deckte mein Vater mich zu und Mutter gab mir sogar noch einen Kuss auf die Stirn und raunte mir verschwörerisch zu:»Heute Nacht kommt der Weihnachtsmann und morgen können wir dann Weihnachten feiern.«

 

Der kalte Schweiß auf meiner Stirn hätte sie warnen sollen, doch sie waren so trunken vor Weihnachtsglück und vermutlich auch von der Flasche Wein, dass sie mit einem Lächeln und funkelnden Augen mein Zimmer verließen.

Ich lauschte lange in die Dunkelheit und als ich sicher war, dass beide schliefen, schlich ich ins Erdgeschoss zur Haustür, öffnete sie vorsichtig. Draußen hastete ich mit klopfendem Herzen zum Gartenhaus. Dort hatte Vater seine Werkzeuge, den alten Rasenmäher und die Kiste mit seiner Schrotflinte.

Natürlich war die Kiste verschlossen, doch ich wusste, wo Vater den Schlüssel aufbewahrte: Ganz oben auf den Werkzeugschrank, wo er dachte, dass ihn niemand sehen könnte - was stimmte - und wovon auch keiner wüsste - was ganz offensichtlich nicht stimmte.

Mit einer enormen Kraftanstrengung gelang es mir einige Kisten vor den Schrank zu schieben und so zu stapeln, dass ich gerade eben so mit den Fingern die Oberseite des Schrankes absuchen konnte.

Und richtig, da war der Schlüssel.

Ich brauchte eine ganze Weile um da schwere Schloss aufzubekommen, aber die nackte Panik saß mir im Nacken und verlieh mir endlich die nötige Kraft.

Wie man die Waffe lud, hatte mir Vater schon mehrfach gezeigt, freilich mit der Androhung der Prügel meines Lebens, sollte ich es je wagen die Waffe ohne sein Einverständnis anzurühren.

Doch ich war gerade dabei mein Leben, so wie ich es kannte, zu verlieren. Eine Tracht Prügel würde ich liebend gerne in Kauf nehmen, wenn ich nur bleiben dürfte.

 

Ganz still legte ich mich in meinem Zimmer auf die Lauer. Sollte dieser rote Scheißkerl nur kommen, mich würde er nicht bekommen!

Endlich gegen morgen, ich war mehrfach eingenickt, hörte ich ein Geräusch an der Haustür. Jemand hatte sie ganz leise aufgemacht, sorgsam darauf bedacht niemand aufzuwecken, aber ich war wach, aber sowas von wach!

Ich kniete mich auf den Boden und streckte den Lauf der Flinte zwischen den Streben des Geländers durch. Die Gestalt, die etwas Unförmiges über der Schulter trug, stieß sich an etwas das Knie als sie hinausschlüpfen wollte. Es war das Tischchen mit dem Telefon. Auch Dad stieß da immer dagegen und normalerweise musste ich darüber kichern, weil er es wohl nie lernen würde.

Doch an jenem Tag kicherte ich nicht. Als die Person, immer noch schimpfend das Licht im Flur anmachte, erkannte ich sie genau.

Ein rotes Kostüm und ein weißer Rauschebart, genau wie die aller Weihnachtsmänner, die ich in den letzten Wochen in dem Straßen und im Fernsehen gesehen hatte. Doch das waren alles Schauspieler oder Verkäufer gewesen, nur das hier, dass musste der echte sein. Er trug sogar den Sack über der Schulter, in den er mich stecken wollte.

Da sah er mich. Er riss seine Augen weit auf und ließ den Sack fallen. Er streckte seine Hände in meine Richtung aus ...

Mit einem kalten Gefühl der Genugtuung drückte ich ab, zweimal.

Beide Ladungen trafen den Mistkerl direkt.

 

An die kommenden Tage erinnere ich mich nur ungenau und die Ereignisse erscheinen mir nur schemenhaft wie durch einen Nebel.

Ich kam in eine Art Krankenhaus und mehrere freundliche aber ernste Leute redeten viel mit mir.

Mutter besuchte mich jeden Tag und auf meine Frage, warum Vater nie vorbeikam, hat sie zuerst geweint und mir schließlich erklärt, dass ein böser Mann ihn am Weihnachtsmorgen umgebracht hat. Mehr wollte und konnte sie mir nicht sagen, aber ich weiß auch so, wer das war. Es muss der Weihnachtsmann gewesen sein. Dieser verdammte Scheißkerl musste irgendwie an Vater geraten sein, der ihn vermutlich aufhalten wollte, mich mitzunehmen. Immerhin hatten wir uns am Abend ja prima verstanden und Vater hatte es sich bestimmt anders überlegt.

Natürlich sagte ich den Leuten, die mit mir diese komischen Gespräche geführt haben, nichts von meinem Verdacht. Dauernd wollten sie mit mir über Weihnachten reden und mir weismachen, dass der Weihnachtsmann kein böser Mann war und ich ihn nicht fürchten musste.

Von wegen! Das wusste ich besser, aber ich spielte mit. Ich hatte meine Lektion gelernt: Sei ein braver Junge, mach keinen Ärger, sonst verständigen sie den Weihnachtsmann!

Und auf keinen Fall wollte ich , dass sie ihn vorwarnten. Vielleicht hatte ich ihn das letzte Mal nicht richtig erwischt. Ich hätte nicht in den Bauch schießen sollen. Das nächste Mal würde ich auf den Kopf zielen. Er würde nie wieder Kinder von zuhause mitnehmen und Väter umbringen, die es sich anders überlegt hatten. Nie wieder!

 

Heute lebt Onkel Henry bei uns, Vaters jüngerer Bruder. Er hat früher allein in Arkansas gelebt und ist nun zu uns nach Colorado Springs gezogen. Ich mag ihn.

Er nennt mich seinen tapferen kleinen Soldaten, keine Ahnung warum, aber das macht mich stolz.

Er geht oft mit mir fischen, hält unser Haus in Ordnung und kann sogar Banjo spielen.

Mutter mag ihn auch, doch mich behandelt sie irgendwie anders als früher. Ab und zu, wenn sie glaubt ich sehe es nicht, hat sein diesen tieftraurigen Blick, wenn sie mich ansieht. Sie schimpft auch nicht mehr mit mir und erklärt mir immer wie einem Erwachsenen, warum ich etwas darf oder nicht darf. Ich verstehe das nicht immer, aber ich gebe mir Mühe.

 

Wir waren heute wieder in der Christmette. Mutters Stimmung war sehr traurig. Sie vermisst Vater.

Ich vermisse ihn auch, aber zum Glück ist Onkel Henry nun da.

Onkel Henry hat nach der Kirche gemeint, dass ich dieses Jahr ein so tapferer kleiner Soldat gewesen bin, dass der Weihnachtsmann mir garantiert das knallrote Fahrrad bringen würde, welches wir in der Shopping-Mall schon ein paarmal ausprobiert haben.

Genau darauf hoffe ich!

 

Als Mutter und Onkel Henry schlafen, gehe ich ins Wohnzimmer, wo der Weihnachtsbaum steht.

Das Licht ist schwach aber ausreichend, um die Umrisse einer Person vom Rest des Zimmers unterscheiden zu können, da die Beleuchtung am Baum bis auf ein Minimum herunter gedreht ist.

Auf dem Tisch liegen Plätzchen und eine Tasse Kakao, das traditionelle Dankeschön an den Weihnachtsmann.

Diesmal nicke ich nicht ein.

Diesmal wird der Mistkerl nicht an mir vorbeikommen!

Da Onkel Henry keine Waffe hat und Mutter jedes Mal einen Weinkrampf bekommt, wenn sie ein Gewehr sieht und sogar im Fernseher schnell den Kanal wechselt, habe ich mir die von unsrem Nachbar Mr. Conolly geborgt. Der Alte hat ein altes Jagdgewehr in seiner Scheune und scheint es sogar vergessen zu haben. Ich musste es erst mal putzen, wie das geht weiß ich ja noch von Vater, wenn er seine Schrotflinte mit Lappen und Öl gesäubert hatte. Auch eine Schachtel mit Munition hatte ich gefunden, genug um mehrfach heimlich im Wald damit üben zu können.

 

Endlich kommt der erwartete Augenblick.

Eine Gestalt kommt durch die Tür und schiebt ein Fahrrad vor sich her.

Zeit für die Abrechnung!

 

07.12.2017

Tom Stark - zum Lesen geeignet