Tom Starks virtueller Schreibtisch

... und was man alles so darauf finden kann.

Beschwörung für Anfänger -

eine Geschichte von der Macht des Wortes über seinen Verfasser

ca. 17 Kindle-Seiten

Beschwörung für Anfänger

von Tom Stark

 

»Ihre Wort und Macht

merkt ich und den Brauch,

und mit Geisteskraft

tu ich Zauber auch...«

 

Es war früh am Morgen, sehr früh, daher verzieh sich der junge Magier den Knittelvers, den er wohl irgendwo aufgeschnappt haben musste.

Mandrake besah sich prüfend sein Werk.

Ein Beschwörungskreis mit Haufenweise komplizierter abgewinkelten Runen, die er sorgsam aus mehreren Büchern abgezeichnet hatte, ein Schutzkreis drum herum mit verschlungenen Sigilien, ebenso penibel abgezeichnet.

Um das Ganze noch das ungleichseitige Dreieck der Dreiuneinigkeit, um die verbotenen Götter gnädig zu stimmen und etwas abseits der Schutzkreis des Beschwörers mit dem kleinen Podest, auf dem das schwere Buch mit den magischen Formeln lag.

Der junge Magier - wobei jung für 14 Jahre alt, und Magier, für seit 4 Jahren am Lernen und kurz vor der ersten Zwischenprüfung stehend bedeutet - schüttelte seine Hände aus den Ärmeln der braunen Kutte, die ihm gerade so viel zu groß war, um unbequem zu sein, aber nicht groß genug um deswegen das nächst kleinere Model zu wählen.

Eigentlich hieß Mandrake auch gar nicht Mandrake. Er fand nur, dass Teelo nicht unbedingt ein passender Name für einen mächtigen Zauberer wäre.

Natürlich war Teelo, auch Mandrake genannt - zumindest von ihm selbst - klar, dass er kein wirklich mächtiger Magier war. Aber er hatte jetzt 6 Monde lang den alten Meistern, gut versteckt von der verborgenen Balustrade im Beschwörungsraum zugeschaut, wie sie Elementare, Geister und Dämonen gerufen hatten und sie sich in ihre Dienste gezwungen hatte.

Oft hatten sie ihnen nur Fragen gestellt, nach geheimen Zaubern, verschollenen Artefakten oder vergessenen Kraftquellen.

Dem jungen Magier kamen die Rituale inzwischen so vertraut vor, wie der morgendliche Gang zur Toilette und wenn die Alten einen Dämonen zwingen konnten, ihnen einfach mal so eine vergessene Weltuntergangsformel beizubringen, dann würde er es wohl zuwege bringen, dass ihm jemand die Prüfungsfragen samt Antworten besorgte.

Ein letztes Mal überprüfte er alle Runen, Kerzen, Opferschälchen und Brandtöpfe. Klar, so eine Beschwörung war ein Risiko, aber das war allein schon der Gang zu den Unterrichtsräumen, besonders wenn der brutale Quallo mit seinen drei Kumpels einem auflauerte.

Hm, vielleicht könnte man auch hier etwas mit dem beschworenen Dämon aushandeln ...

 

 

Tom saß an seinem neuen hinten rechtwinklig und vorne fast halbrunden großen Schreibtisch, den er sich für das Honorar der letzten Veröffentlichung gegönnt hatte. Die beiden großen Bildschirme wirkten auf der Fläche nun so winzig, ebenso wie die Tastatur, die nicht wie früher 50 % der Arbeitsfläche einnahm. Eine Menge Bücher, Comics, Kopien und Unterlagen, allesamt zur Recherche oder zum Ideen-Input gedacht, lagen herum oder stapelten sich, und selbst jetzt war erst 70% der Arbeitsfläche belegt. Am einen Ende des Schreibtischs hatte sich seine Perserkatze sofort ihren Platz erobert, perfekt geeignet um aus dem Fenster zu schauen, die warme Luft der Heizung abzubekommen und zugleich ihren Menschen immer im Auge zu haben. Zudem musste sie sich nur um 90 Grad drehen, dann war sie aus der unmittelbaren Streichelreichweite, was bisweilen einem ungestörten Nickerchen sehr zu Gute kam.

Da ihm die Idee zu einer Geschichte so hartnäckig im Kopf herumgegeistert war, hatte Tom beschlossen, einfach aufzustehen und vor Beginn seiner Arbeit wenigstens die Grundzüge niederzuschreiben, was bedeutete, sie mit seiner Zweifinger-Tasten-Aufspießtechnik digital abzubilden.

Wie immer, wenn er ernsthaft vorhatte etwas zu schaffen, hatte er sich angezogen. Turnschuhe, Jeans, T-Shirt, so wie er auch aus dem Haus gehen könnte. Im Schlafanzug, Traingshosen oder gar nackt zu schreiben, wie er es von manchen Autoren kannte, davon hielt er nichts.

Bisher hatte er einige Gedanken handschriftlich auf gut einem Dutzend Haftnotiz-Zettel zusammengetragen und sie dann nach der vermutlichen Erscheinungsreihenfolge geordnet.

Auf dem kleinen Bildschirm lief ein Kommentar zum Rede-Duell Clinton vs. Trump und darunter der Newsticker, aber das beachtete er nicht.

Vielmehr starrte er auf die Überschrift des ansonsten noch leeren Dokuments:

Beschwörung für Anfänger.

Mit gerunzelter Stirn senkte er bedrohlich seine Finger über seine alte aber liebgewonnene Tastatur, die so abgenutzt war, dass man das S das W und das Ausrufezeichen gar nicht mehr sehen konnte. Zum Glück kannten die Finger ihre Wege beinahe blind.

Er nickte sich selbst zu, und als ob es einen lautlosen Startschuss gegeben hätte, hämmerten die Finger los, als gäbe es kein Morgen mehr.

 

 

Mandrake las noch zweimal die Beschwörungslaute durch, als echte Sprache wagte er sie nicht zu bezeichnen, zumal er wohl die Bedeutung aber weder die Syntax noch Orthographie dahinter verstand. Natürlich gab es verschiedene Beschwörungsformeln, manche in Sprachen, die man wohl nur sauber sprechen konnte, wenn man keine menschliche Kehle hatte. Bei Manchen musste man sogar zweistimmig sein, was bedeutete, dass man einen wirklich, wirklich zuverlässigen Partner brauchte, gerade bei Beschwörungen aber keine leichte Sache.

Der junge Magier hatte sich daher für eine recht simple Formel entschieden, wohl wissend, dass das Ergebnis einer solchen Beschwörung nicht genau vorhersagbar war. Da er aber seine Hausaufgaben sehr sorgfältig gemacht hatte, zumindest glaubte er das - musste daran glauben - sollten seine Bannkreise halten und im Notfall solange Schaden von ihm abwenden, bis er die Beschwörung abgebrochen hatte. Natürlich warnten alle einschlägigen Werke genau vor diesem Fall, aber wer immer mit dem Schlimmsten rechnete, würde wohl auch niemals weiterkommen.

Er atmete noch einmal tief durch, zentrierte sich und begann gleichmäßig und mit voller Brust die Laute zu intonieren:

»Zoooiiinnng, dooooiiiiinnnng, boooooiiiiinnnnng!«

 

 

Tom brauchte eine Beschwörungsformel, denn er begann seine Geschichten gerne mit etwas Gesagtem, oder gleich mit fliegenden Kugeln oder deren Äquivalent.

Er hatte einige seiner Lieblingsautoren durchgesehen, auch Google war ihm (k)eine große Hilfe, hatte aber herausgefunden, dass sich die Autoren entweder mit der schieren Unausprechlichkeit der Formeln um den genauen Wortlaut herumdrückten, oder reinstes Küchenlatein verwendeten.

Doch dann war ihm ein Lächeln übers Gesicht gehuscht. Wenn es ohnehin keinen Sinn ergeben musste, warum es dann nicht gleich auf die Spitze treiben? Ernst nahmen solche Beschwörungen ohnehin nur sehr phantasiebegabte Kids oder Jugendliche, die auch alte Schallplatten rückwärts abspielten und sich wunderten warum da selbst die braven Beatles schlimmer als Ozzy Osborne klangen.

Zudem würde auch keine Mutter, die ihre Sprößlinge im Keller in braunen Bademänteln um ein mit roter Farbe aufgemaltes Heptagram vorfand ernsthaft an Teufelsanbetung glauben, wenn die Kleinen diese Worte sangen, und wenn sie sich noch so viel Mühe geben würden, dabei unheimlich zu klingen:

Zoooiiinnng, dooooiiiiinnnng, boooooiiiiinnnnng!

 

 

Dem jungen Mandrake brummte inzwischen der Kopf, als stünde er neben einem Gong, der pausenlos geschlagen würde. Hartnäckig hielt er an seinem Beschwörungsmandra fest, auch wenn er fühlte, dass ihm bald der Kopf platzen würde. Aber das war eine der Nebenwirkungen, wenn man zu viel arkane Kraft durch seinen Körper leitete, ohne in langen Jahren der Übung darauf vorbereitet zu sein. Auch davor warnten einschlägige Werke.

Endlich merkte er, wie etwas floss. Es war in etwa dasselbe Gefühl, wie eine volle Blase entleeren zu dürfen, erleichternd und gleichzeitig trieb es ihm den Schweiß auf die Stirn.

Innerhalb des Bannkreises begann es zu flimmern. Die Brandtöpfe flackerten wie wild, die Opfergaben gingen wie geplant in Rauch auf und die Runen, Sigilien und anderen Zeichen leuchteten auf, als sie aktiviert wurden.

Ein Rauschen erfüllte die Ohren des jungen Zauberers und die Temperatur des Raumes fiel schlagartig in den Frostbereich. Sein Atem gefror zu einer nebligen Wolke, welche sich auf seine Augen legte und so seine Sicht trübte.

Fahrig wischte er sich darüber, blinzelte mehrfach und zog unwillkürlich die Kapuze seiner braunen Kutte tiefer ins Gesicht.

Dann erschien etwas ...

 

 

Etwas zerrte an ihm, so sehr dass er davon erwachte.

Wie durch einen bunten Tunnel schien er zu treiben, oder vielmehr haltlos zu trudeln.

Als ob er einen lästigen Traum abschütteln müsste, schüttelte Tom seinen Kopf und öffnete schließlich die Augen.

Unsicher stand er da und sah, in einem durch Feuertöpfe nur spärlich beleuchteten Raum, eine kleine Gestallt in einer braunen Kutte, die sich langsam immer mehr verdichtete, wie bei einem Bild, dessen Pixelung zuerst sehr grob und dann immer feiner wird, ähnlich einer JPG-Datei, die von einem schwachen Rechner geöffnet wird.

Vor der Gestalt stand ein Pult mit einem unglaublich dicken Schmöker, in der Fachsprache nannte man das wohl einen Folianten. Niemand benutzte heute noch Folianten! Viel zu schwer und das alte Material aus dem sie bestanden war zudem viel zu anfällig, um sie aus der Sicherheit einer klimatisierten Umgebung in ein kaltes Kellerloch wie dieses mitzunehmen.

Unwillkürlich rieb der Schreiber sich seinen nackten Arme. Wirklich verdammt frostig hier, gerade für sein dünnes T-Shirt.

Als sein Blick zu Boden fiel, runzelte er die Stirn. Sah er recht? Waren das Runen und stand er ...

 

 

... im Beschwörungskreis.

Ungläubig blinzelnd, sah er zu der erschienen Kreatur. Mindestens ebenso ungläubig blinzelnd, starrte diese zurück.

Mandrake hatte einen Dämon erwartet, gut vielleicht einen Elementar, womöglich auch nur einen Geist.

Mit einem Mann hatte er nicht gerechnet, schon gar nicht in solch seltsamer Gewandung.

Seine Schuhe waren aus weißem Stoff oder sehr feinem Leder und sie hatten 3 parallel verlaufende schwarze Balken an der Seite.

Die Beinkleider waren aus einem unnatürlich blauen Stoff, schienen aber recht stabil zu sein, doch das pechschwarze ärmellöse Hemd schien alles Licht in sich hinein zu saugen und saß so perfekt als wäre es über den dicken Bauch des Mannes aufgemalt worden.

Auch sein Gesicht war alles andere als dämonisch, wäre es dem Zauberer nicht als frevlerisch erschienen, hätte man von "gewöhnlich" sprechen können. Dunkelblonde Haare, die bereits deutlich die Stirn hinauf flohen, ein wenig eindrucksvoller Vollbart, eine viel zu dicke Nase im Gesicht und blassgrüne Augen, in welchen allerdings ein wacher Geist zu wohnen schien.

Innerlich atmete Mandrake auf. Wenigstens hatte er kein dummes Wesen beschworen. Von so einem hätte er ganz gewiss keine Hilfe bei seiner Prüfung erwarten dürfen.

»Hoppla« , entfuhr ihm, als sich seine Überraschung als Laut entlud.

 

 

»Hoppla!« kam es ihm erstaunt über die Lippen.

Kopfschüttelnd erkannte Tom, dass das vor ihm gar kein Mann war, vielmehr ein Junge, dessen braunes Haar in der braunen Kapuze fast nicht zu erkennen war. Nur die blauen Augen leuchteten so unnatürlich hell, dass man vermuten konnte, der Junge wäre auf einer Droge.

Der Junge wirkte ungefähr so unsicher, wie Tom sich fühlte. Wenn das hier wirklich eine Beschwörung war und er der Beschworene - er kniff die Augen zusammen, um zweimal tief durchzuatmen - dann war der Kleine sicher ungefähr genauso neu im Beschwörer-Geschäft wie er selbst.

Jetzt war es passiert. Seine Phantasie hatte schließlich seinen Realitätssinn überholt. Bislang hatte er sich eingebildet, trotz seiner ganzen phantastischen Geschichten, die ihm andauernd im Kopf herumschwirrten, mit beiden Beinen fest im Leben zu stehen. Gut, natürlich hatte es sich schon den einen oder anderen Tag-Traum gegönnt und sich vorgestellt leibhaftig in die Rolle einer seiner Paladine, Zauberer oder Kriegerinnen zu schlüpfen, aber schließlich und endlich war immer wieder das Wort "Realitäts-Check" aufgetaucht, genau wie gerade eben. Doch da es derzeit nicht hilfreich eschien, beschloss er es bis auf Weiteres zu ignorieren.

Der Junge vor ihm konnte jederzeit in Panik geraten, meine Güte, er selbst konnte jederzeit in Panik ausbrechen, also waren Gelassenheit und vertrauensbildende Maßnahmen mit Sicherheit bessere Strategien als die Leugnung der Situation, ob nun real oder eingebildet.

»Hi, nette Atmosphäre, ein bisschen gruslig vielleicht, aber auf jeden Fall eindrucksvoll. Hast Du einen Namen, junger Mann?«

 

 

Der junge Mann wäre beinahe vor Schreck aus seinem Schutzkreis gestolpert.

»Teelo ... Mandrake!« Er ärgerte sich, dass er nicht gleich seinen Zauberernamen genannt hatte. Dann erst wurde ihm bewusst, welchen kapitalen Fehler er möglicherweise begangen hatte. Hatte er gerade einem Dämonen seinen wahren Namen verraten?

Das war auf jeden Fall eine der top Drei Todsünden eines Beschwörers, die in wirklich jedem Standardwerk aufgeführt wurden.

»Guter Name, für einen Zauberer. Mandrake als Vorname wäre viel zu aufgeblasen. Jeder Wichtigtuer würde sich so nennen. Aber als Beiname, passt das ausgezeichnet zu Teelo. Freut mich Deine Bekanntschaft zu machen.«

»Äh, ja, genau. Genau das hatte ich mir auch gedacht. Natürlich ist es nicht mein richtiger Name. Nur ein Narr würde einem Dämonen seinen richtigen Namen verraten!«

Froh noch einmal die Kurve bekommen zu haben, bemerkte er nun das Zittern, was seine Beine in den letzten Minuten erfasst hatte. Er schob es auf die klirrende Kälte und nahm sich vor, das nächste Mal Wollunterwäsche anzuziehen.

»Du hattest wohl gedacht mich reinlegen zu können. Natternbrut, Dämonengezücht, Kreatur aus dem brodelnden Chaos! Aber nicht mit dem mächtigen Mandrake, also Teelo Mandrake, meine ich.«

Um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, hielt der Zauberer seinen Zauberstab auf den Mann gerichtet. Dieser konnte ja unmöglich wissen, dass einem Schüler wie ihm, außer Matrizes zur Übersetzung, bei Strafe keine anderen Zauber auf den Stecken gestattet waren.

 

 

Tom verkniff sich ein Schmunzeln.

So wie der Zauberstab zitterte, war der eher für einen ungarischen Spieß als für einen Todeszauber zu gebrauchen. Aber er musste ihn ja nicht reizen und solange es dem Jungen etwas Sicherheit gab, würde der auch davon absehen etwas wirklich Dummes zu versuchen.

Als er sich umsah und die Beschwörungskreise mit den leuchtenden Runen betrachtete, korrigierte er seine stille Einschätzung. Er hoffte der Junge würde nicht etwas noch Dümmeres tun. Nicht auszudenken, wenn ein echter Dämon ...

Hallo Realitätscheck?

Nicht gerade jetzt!

»Ok, fangen wir mal von vorne an. Aber du musst mir vielleicht helfen. Du musst wissen, das ist meine erste Beschwörung, die ich als Beschworener mitmache. Ich bin mit dem Procedere also nicht wirklich vertraut, aber ich kann notfalls improvisieren.«

Der Junge streifte sich die Kapuze ab, die ihm ständig über die Augen zu rutschen drohte.

»Naja, zugegeben, das ist auch meine erste Beschwörung.«

Schnell schlug er die Hände vor seinen Mund und ließ dabei den Zauberstab fallen, der achtlos in eine dunkle Ecke rollte.

»Du hast es schon wieder getan! Teuflische Brut. Jedes Wort eine Lüge, jede Geste eine List!«

Tom hob beruhigend beide Hände.

»Immer mit der Ruhe. Wie kommst Du eigentlich auf die Idee, dass ich ein Dämon bin?«

»Natürlich bist Du einer, Du musst einer sein!«, kam starrköpfig zurück.

»Äh, gut. Was genau macht denn einen Dämon aus?«

»Das weißt Du ganz genau. Du kommst aus seiner anderen Dimension. Eure Gebräuche sind wild und barbarisch, es herrschen die Skrupellosen und Kriegerischen und wann immer ihr könnt, betrügt und ermordet ihr einander. Dauernd herrscht Krieg und niemals kommt ihr zur Ruhe. Wenn ihr könntet, würdet Ihr diese Welt überschwemmen und sie auch unterwerfen.«

Da musste Tom tatsächlich eine Weile schweigen.

»Wenn Du das als Maßstab zugrunde legst ... Du hättest die Welt wo ich herkomme, kaum besser beschreiben können. Vielleicht sind wir wirklich Dämonen.«

»Ha, Natternbrut, Dämonengezücht. Ich habe Dich ertappt. Mir machst Du nichts vor!«

»Mag gut sein«, erwiderte Tom langsam. »Eber wie sieht es bei Euch aus? Herrschen hier nicht jene, die skrupellos sind oder die mit den mächtigsten Heeren? Willst Du mir wirklich sagen, hier herrschen nur die Weisen und Gütigen? Es gibt keine Kriege und die Reichen beuten nicht die Armen aus?«

 

 

Teelo schluckte schwer. Wenn man es so betrachtete, hatte der seltsame Dämon recht.

Die Könige waren selten gerecht und alle Nase lang wurden aus den blödsinnigsten Gründen Kriege geführt. Natürlich war man als Magier fein raus, niemand legte sich schließlich mit den sieben Orden der Macht an. Aber als Bauer oder einfacher Handwerker hatte man kein leichtes Los.

Aber was war denn das? Wie kam er auf einmal dazu sich solche Gedanken zu machen?

Wütend wandte er sich dem Dämonen zu.

»Sei einfach still, du doppelzüngige Kreatur der Hinterlist. Gift sind Deine Worte, doch ich bin immun dagegen!«

Der Dämon schwieg und Mandrake dachte nach.

Das lief überhaupt nicht so ab, wie eine Beschwörung ablaufen sollte.

Zuerst müsste der Dämon erscheinen in Rauch und Schwefel, um sich schlagen und toben, furchtbare Drohungen ausstoßen. Er müsste versuchen aus dem Bannkreis auszubrechen und sobald er einsehen musste, dass dies nicht gelang, musste er versuchen mit seinem Beschwörer zu schachern. In keinem einzigen Fall hatte ein beschworenes Wesen sich so ruhig, sogar friedfertig gegeben. Das konnte doch einfach nur ein Trick sein, musste ein Trick sein.

»Du, Dämon, hast Du einen Namen?«

»Soll ich mir einen netten ausdenken? Einen bei dem man sich auf die Zunge beißen muss, um ihn auszusprechen, den man in dem Moment vergisst, in dem man ihn hört? Oder willst Du lieber meinen richtigen Namen.« Der Dämon sprach ruhig, aber Teelo konnte durchaus den feinen Sarkasmus heraushören. Den hatten auch seine Lehrer allzu oft in der Stimme.

»Natürlich den echten, was glaubst Du denn?«

»So ganz sicher bin ich mir nicht mehr. Bisher habe ich mich wirklich bemüht, aber so langsam geht es mir gegen den Strich dauernd beschimpft und beleidigt zu werden. Dafür, dass ich nicht einmal weiß wo ich bin und was ich hier soll, finde ich, dass ich wirklich sehr viel guten Willen gezeigt habe. Vielleicht wäre es nun an der Zeit, dass Du das auch mal versuchst, junger Mann!«

Oha, der Dämon klang wirklich angepisst. Und eigentlich hatte er ja Recht. Klar, es stand in jedem Standardwerk, dass Dämonen logen, betrogen und versuchten sich aus ihrer Gefangenschaft heraus zu winden, aber Mandrake würde sich nichts dabei abbrechen, etwas höflicher zu sein.

»Also schön. Entschuldige bitte. Es läuft halt leider gar nicht so ab, wie Beschwörungen ablaufen sollte, in Ordnung?«

 

 

Tom nickte versöhnlich. Fünfzehn Jahre im Lehrberuf hatten also doch etwas gebracht, und sei es nur, einen Draht zu jungen Menschen zu finden. Nicht immer war Nachgiebigkeit das beste Mittel. Man musste auch Grenzen setzen und zwar rechtzeitig, bevor diese bereits zu weit und zu oft überschritten worden waren.

»Kein Ding. Ich bin Tom. In meiner Welt bin ich ein ... Geschichtenerzähler.«

»Fürwahr, wirklich?« Das war wohl die Entsprechung zu "cool, echt jetzt?".

»Sicher, nicht der Berühmteste, aber ich habe so meine Momente.«

Der junge Mann schwieg eine Weile. Tom wurden die Beine müde und er wollte einen Schritt nach vorne machen, doch der Aufschrei des jungen Magiers stoppte ihn.

»Halt, nicht. Vorsicht!«

Er hielt inne.

»Wenn Du den Bannkreis berührst, wirst Du irre Schmerzen erleiden«, kam auch gleich die Erklärung, in einem überraschend besorgten Tonfall.

»Oh, danke. Aber hinsetzen kann ich mich?«

»Ich dachte immer Dämonen hätten unendlich viel Kraft und Ausdauer?«

Tom schmunzelte während er sich in den Schneidersitz hinabließ. »Also dieser Dämon hier ganz sicher nicht. Der ist schon fertig, wenn er nur einen Kasten Sprudel aus dem Kel... äh ... zwei Eimer Wasser vom Brunnen zum Haus schleppen muss.«

Auch der Junge setzte sich nachdenklich.

»Du hast nicht zufällig die Absicht wild im Bannkreis herum zu toben, mich zu beschimpfen und versuchen mich zu übertölpeln und dann qualvoll umzubringen?«

Tom konnte nicht anders, er musste herzhaft lachen.

»Du meine Güte, nein. Und ich lasse mir auch keine Hörner oder Drachenflügel wachsen, auch keine rasiermesserscharfen Zähne und Klauen.«

Misstrauisch wurde er vom Jungen gemustert. »Aber immerhin weißt Du genug über Dämonen um sie ziemlich gut beschreiben zu können?«

»Junge, das ist mein Job ... ich meine, Beruf. In meinen Geschichten denke ich mir allerhand Ungeheuer aus, und vermutlich habe ich als kleiner Junge mich vor denselben Monstern im Schrank oder unterm Bett gefürchtet, wie du auch.«

 

 

Der junge Magus wusste nicht mehr weiter.

Nicht nur, dass das überhaupt nicht im Entferntesten so lief, wie es sollte, zu allem Überfluss fing er auch an den seltsamen Dämonen zu mögen. Der schien wirklich eher ein fröhlicher Geselle zu sein mit irrsinnig viel Geduld und Ruhe. Wäre es umgekehrt und er in dem Bannkreis gefangen, da war sich Teelo sicher, er hätte geheult, gejammert und getobt und damit weit eher dem Standardbild eines Dämonen geglichen.

»Kann ich Dich was fragen?« Ihm war sofort klar, dass das erstens schon eine Frage war und er zweitens eigentlich seinem Dämonen befehlen müsste zu antworten. Aber irgendwie kam ihm das nicht richtig vor. Zudem konnte er immer noch dazu übergehen, wenn der ... Dämon ... sich weigerte.

Dieser grinste verschmitzt. »Versuchs doch einfach mal. Was soll schon schiefgehen?«

Wider Willen musste Teelo auch grinsen. Klar, dumme Frage, dumme Antwort.

»Die Sache ist die. Eigentlich stehen mir drei Fragen zu oder drei Dienste oder eine Mischung davon.«

»Du sagst also, weil Du mich aus meinen Zuhause entführt hast, mich hier in einem saukalten Keller auf einem saukalten Steinboden gefangen hältst, schulde ich Dir irgendwas? Ich meine, nicht dass ich Dir nicht helfen will, aber das muss Dir doch selbst ziemlich bescheuert vorkommen.«

»Äh, wenn Du es so ausdrückst, ja. Aber so sind nun mal die Regeln. Ich habe sie nicht gemacht.«

Der Mann lächelte traurig. »Das ist so ziemlich die perfekte Ausrede um vor allem und jedem Missstand die Augen zu verschließen und die Hände in den Schoß zu legen. Und wenn nicht die gebildeten Magier, wer sollte sonst erkennen, wenn etwas kein wünschenswerter Zustand ist?«

Peinlich berührt zupfte sich Teelo an seinen zu langen Ärmeln.

»Aber, hey. Du hattest Fragen. Wie wäre es, wenn Du sie stellst. Wenn ich ehrlich bin, friere ich wie ein Hund und habe langsam Hunger. Du hast mich nämlich vor den Frühstück erwischt.«

Auch der junge Magus spürte langsam den Hunger. Zudem lief diese Beschwörung schon weitaus länger als geplant. Es wurde wirklich Zeit sich etwas zu eilen.

»Gut. Kennst Du die Prüfungsfragen und die Lösungen der Zwischenprüfung in arkaner Arithmetik?«

Der Mann lächelte wieder. »Mal im Ernst, woher sollte ich die wohl kennen. Ich bin weder Lehrer an Deiner ... Schule, noch bin ich Magier. Du kannst froh sein, dass ich als Geschichtenausdenker immerhin eine Ahnung habe, wovon Du da redest. Hättest Du zum Beispiel einen Elektrotechniker oder Zahnarzt erwischt, der würde Dich jetzt nur ungläubig anstarren.«

»So eine Hühnerkacke! Ich hatte das fast vermutet ...« Trostlose Traurigkeit überfiel ihn.

»Wie wäre es denn, wenn du anstatt irgendwen zu beschwören, der das für Dich macht, es selbst lernst? Du scheinst mir ein schlauer Kerl zu sein. So eine Beschwörung bekommt ganz sicher nicht jeder hin.«

Teelo lachte bitter: »Klar, könnte man denken. Solange es um Buchstaben und Worte geht ist alles gut. Aber sobald viele Zahlen dazu kommen, tanzen sie vor meinen Augen und mir wird ganz wirr im Kopf. Egal wie sehr ich mich anstrenge, es kommt immer das Falsche heraus. Immer!«

 

 

Tom horchte auf.

»Kopfschmerzen, Schwindelgefühl?

Sein Gegenüber nickte traurig.

»Es ist als ob Du etwas im Augenwinkel siehst, aber wenn du Dich hindrehst ist es weg? Wenn Du große Zahlen zusammenrechnen willst, passen die einfach nie zusammen?«

Der Junge hob den Kopf. »Du kennst das auch?«

Und ob er das kannte. Dyskalkulie nannte das die Wissenschaft in der Theorie. Eine zum Glück mit viel Geduld und etwas Anleitung, behebbare Mangelbegabung im Grundrechenbereich, so sagten dazu die meisten Lehrer in der Praxis.

»Ja, hatte früher oft damit zu tun.«

»Als Geschichtenerzähler?«

»Als Lehrer.«

Der Junge war sprachlos.

»Und ... was ist das jetzt genau. Bin ich dumm mit Zahlen?«

Tom lächelte. »Könnte man so sagen, aber nicht im Sinne von doof. Doofheit kann man nicht durch Lernen beheben. Aber bestimmte Arten von Dummheit, lassen sich durch Üben und Tricks überwinden.«

»Das ... das kannst Du machen?« Der Junge schöpfe offenbar Hoffnung.

»Nicht auf die Schnelle. Das braucht Zeit und ... Moment mal. Ich habe da eine Idee!«

Hallo? Realitäts-Check!

Verdammt, NICHT JETZT!

 

 

Den Nachwuchsmagus hielt es nicht mehr auf dem Boden. Aufgeregt sprang er auf und verließ seinen Schutzkreis. Keine Sekunde verschwendete er mit einem Gedanken, dass der Dämon ihn gerade ganz gepflegt aufs Kreuz legen könnte.

»Was für eine Idee?«, fragte er begierig.

Der seltsame Dämon schmunzelte und seine Augen glitzerten vor Schalk, als wäre ihm gerade ein besonders genialer Streich eingefallen.

»Wenn ich das richtig sehe, hast Du noch Sachen frei, die ich tun muss, damit ich freikomme, das habe ich doch richtig verstanden?«

»Ja, glaube schon. Die Frage war Nummer eins, bleiben noch zwei Sachen.«

»Perfekt. Also zuerst befielst Du mir, dass ich dafür sorge, dass Deine Schwierigkeiten mit Arithmetik verschwinden.«

»Aber Du sagtest Doch das kannst Du nicht auf die Schnelle ...?«

»Kann ich auch nicht, aber lass das meine Sorge sein.«

»Gut und was ist das Zweite?«

»Du musst mir befehlen zurückzugehen, wo ich herkam und mich genau an das hier gerade zu erinnern!«

Der junge Magus schüttelte verwirrt den Kopf. »Das ist alles?«

Der Mann schmunzelte noch breiter: »Wenn alles klappt wie ich es denke, ja. Falls nicht, hast Du nichts verlorenen, weil ich Dir hier ohnehin nicht helfen kann.«

»Und das ist kein Trick um Dich herauszuwinden?« Etwas Misstrauen war noch geblieben. Immerhin wusste jeder, dass man Dämonen nicht trauen konnte. Andererseits hatte auch jeder gewusst, dass Dämonen Hörner hatten, fluchten und schimpften und dass ein normales Gespräch schlechterdings unmöglich war. Teelo fragte sich, was "man" noch alles so wusste, was einfach nur auf ein paar zutraf, aber niemals auf alle.

»Versprochen. Und ich habe ein gutes Gefühl bei der Sache. Vertrau' mir.«

Der junge Magier grinste. Vertrau' mir, war eigentlich der beste Hinweis es nicht zu tun, aber wie der seltsame Dämon schon sagte: Er hatte nichts zu verlieren und er sollte langsam wirklich hier wegkommen. In weniger als einer halben Stunde begann sein Unterricht. Wenn er bis dahin nicht dort wäre, würde man ihn suchen. Und hier wollte er ganz sicher nicht gefunden werden.

»Gut, kehre nach Hause zurück, hilf mir bei meinem Problem und vergiss unser Gespräch ja nicht! Oder meine Rache wird grausam sein ...« Das Letzte fügte er mit einem Zwinkern hinzu.

 

 

Tom erwachte mit steifen Nacken.

Seine Perserkatze schleckte ihm das Ohr ab und maunzte ihm direkt hinein. Ein Blick auf die Uhr verriet: Scheiße, schon Zwölf.

Ein weiterer Blick aufs Smartphone zeigte vier verpasste Anrufe.

Mit schlechten Gewissen rief er zurück.

»Ja, schlecht geschlafen, steifer Nacken, fühle mich wie gerädert«, alles ungelogen, aber eigentlich auch nur Ausreden.

»Kein Problem, wir kommen heute auch ohne Dich zurecht. Meinst Du, Du bist bis Montag wieder fit?« - »Ja, klar. Ganz sicher sogar.« - »Dann alles Gute, werd gesund. Wir sehen uns Montag.«

Gute Kollegen sind nicht mit Gold aufzuwiegen, eine verständnisvolle Chefin nicht einmal mit Diamanten.

Zuerst versorgte er seine Vierbeiner, dann streckte er sich auf der Veranda aus und vertrieb die Steifheit in Nacken und Rücken.

Warum kam ihm gerade die Idee von einem Magierschüler, der mit steifem Nacken und schmerzendem Rücken versuchte eine Prüfung einigermaßen heil zu überstehen?

Er eilte zu seinem Schreibtisch zurück und sah das offene Dokument.

»Ihre Wort und Macht

merkt ich und den Brauch,

und mit Geisteskraft

tu ich Zauber auch...« Es war früh am Morgen ...

 

 

Teelo begab sich auf direktem Weg zum Klassenraum. Er zuckte zusammen, als er Quallo mit seinen Kumpanen aus einem Seitengang auf sich zukommen sah.

»Sieh an, wen wir da haben?« Quallo genoss es sichtlich den schmächtigeren Teelo einzuschüchtern.

Langsam wich jener zurück, bis er gegen eine andere Person stieß.

»Entschuldi ...«, ihm blieb das Wort im Hals stecken. Ausgerechnet die schwarzhaarige Tillith musste er anrempeln. Sie war mit ihren jungen Jahren schon eine der mächtigsten Hexen im Reich. Nahezu alle Kerle hechelten der rassigen Schönheit hinterher, aber niemand wagte sich weiter, denn selbst ihre harmlosen Flüche galten als gemeingefährlich.

 

 

Er erinnerte sich wieder, an alles. War es nur ein Traum gewesen, weil er viel zu früh aufgestanden war? War der Traum vielleicht nur die Art, wie sein Hirn das Erlebte in diese Welt, in der er nun mal funktionieren musste, übertrug?

Und wieder einmal: Realitäts-Ch ...!

Er würgte den Gedanken ab und beschloss das blöde Wort aus seinem Wortschatz zu streichen.

Dann setzte er sich an den langen Text, beinahe 10 Din A 4 Seiten und begann ihn zu überarbeiten.

»Keine Sorge, Teelo, ich halte mein Versprechen. Für diesen Quallo und seine Schlägerbande habe ich auch ein Geschenk, und als Bonus gibt es für Dich eine Freundin dazu. In Deinem Alter sollte man mit Mädchen und nicht mit Dämonen rummachen... «

Ob real oder ausgedacht, der Wert eines gegebenen Wortes ist schließlich nicht daran zu bemessen, sondern allein am Willen, es einzuhalten.

 

 

 

08.12.2017

Tom Stark - zum Lesen geeignet